Wehrtechnische Entwicklung - Gegebenheiten, Standards & Anforderungen

Technische Entwicklungsprozesse im Bereich der Wehrtechnik unterliegen speziellen Rahmenbedingungen. Welche das sind wird in diesem Beitrag näher erläutert
Autor:
Jochen Schmidt
Veröffentlicht:
25. Juni 2024
January 5, 2024

Inhaltsverzeichnis

  1. Allgemeine Randbedingungen
  2. Standards
  3. Spezielle technische Requirements
  4. Materialauswahl
  5. Interdisziplinäre Kooperation
  6. Fazit

Technische Entwicklungsprozesse im Bereich der Wehr- und Sicherheitstechnik unterliegen speziellen Randbedingungen in Bezug auf das Umfeld, die Anforderungen, die Materialauswahl und die Zusammenarbeit. In diesem Beitrag werden sowohl diese Randbedingungen näher beleuchtet als auch Leitlinien aufgezeigt, welche für die erfolgreiche Durchführung eines Entwicklungsvorhabens herangezogen werden können.

1. Allgemeine Randbedingungen

Die technische Entwicklung im Bereich der Wehrtechnik erfolgt im Spannungsfeld zwischen den Anforderungen aus der Globalisierung und den damit verbundenen Konflikten, den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und den wirtschaftlichen Interessen der beteiligten Unternehmen. Krisensituationen an teils weit entfernten Orten machen die Entwicklung von Equipment notwendig, welches einfach verlegt werden kann und eine schnelle Anpassung an die Gegebenheiten vor Ort ermöglicht. Aus der Tatsache, dass solche Projekte je nach Komplexität der Entwicklung auch über mehrere Jahre oder sogar Legislaturperioden laufen können, ergeben sich Risiken und Herausforderungen hinsichtlich der Finanzierung und des Projektmanagements. Diese können sich natürlich auch auf den Entwicklungsprozess auswirken. Darüber hinaus muss insbesondere bei aufwendigen und langwierigen Entwicklungen sichergestellt werden, dass das Produkt zukünftigen, sich gegebenenfalls verändernden Anforderungen gerecht wird oder an diese angepasst werden kann. Dies ist besonders bei Fahrzeugen und Flugzeugen anspruchsvoll, da hier lange In-Service-Zeiten die Regel sind. Flugzeuge vom Typ Saab Draken 35OE waren zum Beispiel ca. 50 Jahre im Dienst.

Abbildung 1: Saab Draken 35OE  (Foto: Bundesheer)

2. Standards

Die Standardisierung von Material und Prozessen spielt eine wichtige Rolle bei Entwicklungsprojekten im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Das beginnt bei einfachen Dingen wie einheitlichen Schraubengrößen, standardisierter Munition und Werkzeugen und geht hin bis zur Integration von Equipment in hoch komplexe Kommunikationsstrukturen multinationaler Verbände. Im Einflussbereich der NATO sind die vom US-Verteidigungsministerium erstellten und gepflegten United States Military Standards maßgeblich. Diese sollen die Leistungsfähigkeit, Wartbarkeit, Reparierbarkeit und Eingliederung in die Logistik von Entwicklungen in diesem Sektor gewährleisten. Ein Pendant dazu auf europäischer Seite ist das European Defence Standards Reference System (EDSTAR), welches von der European Defence Agency unterhalten wird. Es ist online zugänglich und beinhaltet Vorgaben und Leitlinien zur Entwicklung, Produktion und Beschaffung von Material im Bereich der Wehrtechnik.

3. Spezielle technische Requirements

Am Beginn eines Entwicklungsprozesses in diesem Bereich steht die Definition einer Mission und der damit verbundenen Bedrohungsszenarien. Daraus werden anschließend Anforderungen hinsichtlich der Gestalt, der Leistungsfähigkeit und der Kosten abgeleitet. Für die Qualität des Ergebnisses des Entwicklungsprozesses ist es wichtig, diese Anforderungen kontinuierlich zu prüfen und zu verfeinern. Gerade im Bereich der Wehrtechnik gibt es einige spezielle Anforderungen, die hier herausgehoben werden sollen.

  • Es sollte ein Reparaturkonzept für die Instandhaltung im Feld entworfen werden. Beinhaltet dies den Austausch von Komponenten, so muss die dazu notwendige Logistik berücksichtigt werden.
  • Die Ersatzteilversorgung muss auch im Krisenfall sichergestellt sein.
  • Die Lagerung und der Transport sollten in standardisierten Behältern wie Transportcontainern erfolgen
  • Die Funktionsfähigkeit sollte auch nach einer Beschädigung aufrecht erhalten werden können
  • Es existieren feste Gewichtsbeschränkungen aus:
    • Der Verlegung des Materials per LKW, Hubschrauber, Bahn oder Flugzeug
    • Der begrenzten zulässigen Gesamtmasse von Basisfahrzeugen
    • Der zulässigen Belastung der Soldaten
  • Die Bedienung und der Betrieb sollten intuitiv und ggf. auch mit Handschuhen und ohne Licht möglich sein.
  • Die Möglichkeiten für Upgrades und Kampfwertsteigerungen sollten früh im Prozess berücksichtigt werden, um auf Veränderungen im Einsatzspektrum reagieren zu können.
  • Die zuverlässige Funktion muss auch unter besonders widrigen Umweltbedingungen sichergestellt sein. Dazu gehören:
    • Sand, der Funktionselemente blockiert, abrasiv wirkt und die Ansaugluft verschmutzt.
    • Salz und Feuchtigkeit, die Korrosion begünstigen
    • Eis, welches das Gewicht erhöht und Funktionselemente hemmt
    • UV-Strahlung, die das Material schwächen kann

Neben den technischen Lösungen und dem bestmöglichen Schutz der Anwender spielt in der Regel auch der finanzielle Aspekt im Verteidigungssektor und in Konflikten eine große Rolle. D.h. es ist notwendig, die direkten Kosten und auch die Folgekosten für Betrieb, Instandhaltung, Reparatur, Training des Personals und Entsorgung so genau wie möglich zu bestimmen und zu tracken.

Abbildung 2: Erprobung von ballistischem Schutz auf Basis von Verbundmaterialien

4. Materialauswahl

Sowohl im Vorfeld der Beschaffung von Material, Halbzeugen und Komponenten als auch vor der Auslieferung eines Produktes ist es in diesem Geschäftsfeld zwingend notwendig, die jeweils gültigen Exportbeschränkungen zu prüfen. Darüber hinaus muss bei einer solchen Entwicklung in der Regel durch die Auswahl geeigneter Lieferanten sichergestellt werden, dass die für die Herstellung benötigten Materialien auch in einem Krisenfall weiter verfügbar bleiben. Aus technischer Sicht müssen bei der Materialauswahl für Entwicklungen im Bereich der Sicherheit einige spezielle Randbedingungen beachtet werden. Neben der oben genannten Widerstandsfähigkeit gegen Umwelteinflüsse muss das verwendete Material auch eine chemische Beständigkeit gegen Kampfstoffe und die damit verbundenen Reinigungsmittel und Prozeduren aufweisen. Auf Grund ihrer Korrosionsbeständigkeit, des niedrigen spezifischen Gewichts und der Möglichkeit, die Faser-Matrix-Kombination auf die jeweilige Anwendung hin zu optimieren, sind Faserverbundwerkstoffe sehr gut für Komponenten im Bereich der Wehrtechnik geeignet. So können auch die elektromagnetischen Eigenschaften des Materials angepasst werden, um den zunehmenden Anforderungen hinsichtlich der Radartarnung gerecht zu werden. Darüber hinaus besitzt gerade CFK eine sehr geringe thermische Dehnung, wodurch es sehr gut für Sensorgehäuse und die Stabilisierung von Rohren geeignet ist. Bei Schutzelementen aus Verbundmaterialien spielt die Temperaturbeständigkeit eine wichtige Rolle. Hier können Bedrohungsszenarien eintreten, bei denen Beschuss und thermische Angriffe gleichzeitig auftreten. Der Materialverbund darf dabei weder Einbußen bei der Schutzwirkung aufweisen, noch dürfen dabei toxische Dämpfe entstehen, die zum Beispiel Fahrzeuginsassen gefährden könnten.

Abbildung 3: Explosionsgetestetes Luftführungsrohr aus CFK mit direkt integriertem Flanschelement

5. Interdisziplinäre Kooperation

Besonders aus der Verlagerung hin zu unbemannten Systemen, die in diesem Bereich stattfindet, resultiert ein starker Anstieg der Komplexität der zu entwickelnden Produkte und Komponenten. So müssen Aktorik, Sensorik und Steuerungselektronik integriert werden, die ihrerseits Anforderungen an die Struktur und die verwendeten Materialien stellen. Beispiele sind hier elektromagnetische Abschirmung, Transparenz für das Sichtfeld von Sensoren oder die Gewährleistung eines Temperaturfensters für den Betrieb elektronischer Baugruppen. Da diese Systeme sicher überwacht und gesteuert werden müssen, werden auch zuverlässige Kommunikationsschnittstellen benötigt. Die Anforderungen der dazu notwendigen Antennen haben einen direkten Einfluss auf die Gestalt und die Materialauswahl im Bereich der Struktur. Vor diesem Hintergrund ist es sehr vorteilhaft, wenn die Entwicklungspartner und das Engineering über Erfahrung und ein breit gefächertes Know-How verfügen, welches über das jeweilige Spezialwissen hinausgeht. Interdisziplinäre Kooperation und Kommunikation über den gesamten Entwicklungsprozess bis hin zur Erprobung sind die Grundpfeiler für eine saubere Integration aller Bausteine in solch komplexen Projekten.

Abbildung 4: CFK-Gehäuse für ein unbemanntes Landfahrzeug

6. Fazit

Die technischen Entwicklungsprozesse im Bereich der Wehr- und Sicherheitstechnik erfordern eine umfassende Berücksichtigung spezieller Randbedingungen und Anforderungen. Globalisierung, politische Rahmenbedingungen, wirtschaftliche Interessen sowie die Notwendigkeit der schnellen Anpassung und Instandhaltung im Krisenfall sind dabei entscheidende Faktoren. Eine Standardisierung der Materialien und Prozesse, wie durch NATO-Standards und EDSTAR vorgegeben, gewährleistet die Leistungsfähigkeit und Wartbarkeit der Produkte. Besondere Anforderungen an Materialauswahl, Gewichtsbeschränkungen und Umweltbeständigkeit müssen berücksichtigt werden, um die Zuverlässigkeit und Langlebigkeit der Produkte sicherzustellen. Interdisziplinäre Kooperation und umfassende Kommunikation sind essenziell für die erfolgreiche Integration aller Systemkomponenten. Eine fundierte Planung und ein umfassendes Verständnis dieser Randbedingungen und Leitlinien sind die Basis für die erfolgreiche Durchführung von Entwicklungsprojekten in der Wehrtechnik.