Der Weg zur korrekten Spritzguss-Konstruktion

Hier finden Sie alle relevanten Informationen rund um das Thema der spritzgussgerechten Artikelkonstruktion ►Gleich lesen!
Autor:
Andreas Nestler
Veröffentlicht:
February 29, 2024

Kunststoffbauteile welche im Spritzgussverfahren hergestellt werden, unterscheiden sich wesentlich von Metallbauteilen. Nicht nur die mechanischen und chemischen Eigenschaften, sondern auch die fertigungsgerechte Auslegung unterscheidet sich von Metallbauteilen maßgeblich. Vielen Konstrukteuren ist der Einfluss Ihrer Konstruktion auf die Bauteilqualität nicht bewusst und durch das Einhalten einiger einfacher Konstruktionsregeln im Vorfeld, können teure und zeitaufwendige Werkzeugänderungen und Korrekturen vermieden werden. Im Folgenden möchten wir Ihnen ein paar der wichtigsten Schritte zur spritzgussgerechten Bauteilkonstruktion näherbringen.

Abbildung 1:  Spritzguss Baugruppe    

Inhaltsverzeichnis:

1. Die Wahl des richtigen Werkstoffs
2. Entscheidung über Optik oder Funktion
3. Wandstärken
4. Bauteilentformung
5. Toleranzanforderungen
6. Prototypen
7. Fazit

Am Beginn steht die Wahl des richtigen Werkstoffs

Hierbei handelt es sich zwar um keinen konstruktiven Punkt, jedoch ist die Wahl des richtigen Kunststoffes maßgeblich für die weitere Bauteilauslegung. Das Material hat zum Beispiel Einfluss auf Wandstärken und Entformschrägen. Zu Beginn des Projekts sollten die wesentlichsten Punkte zur richtigen Materialauswahl bereits bekannt sein. Nur wer im Vorfeld die genauen Vorgaben und Umgebungseinflüsse für sein Bauteil kennt, kann hier die richtige Entscheidung treffen. Hierbei ist es ratsam sich die Unterstützung eines Experten für Kunststoffmaterialien einzuholen.      

Abbildung 2: Spritzguss Granulat

                 

Entscheidung über Optik oder Funktion

An die Konstruktion von technischen Bauteilen werden ganz andere Anforderungen gestellt wie an optische Bauteile. Bei technischen Bauteilen steht die Funktion im Vordergrund, wohingegen bei optischen Bauteilen das Aussehen entscheidend ist. Dementsprechend muss die spritzgussgerechte Artikelkonstruktion danach ausgerichtet werden.

Abbildung 3: Funktionsteil in der Spritzgusstechnik  

Wandstärken: So groß wie nötig - so gering wie möglich

Die richtige Wandstärke ist wohl einer der wesentlichsten Schritte auf dem Weg zum spritzgussgerechten Bauteil. Hier kann es durch eine falsche Dimensionierung zu erheblichen Einflüssen auf die Materialeigenschaften kommen. So gibt es zum Beispiel für bestimmte Materialien eine gewisse Mindestwandstärke welche nicht unterschritten werden sollte, da dies die gewünschten Materialeigenschaften beeinflusst. Hierzu gibt es von vielen Materialherstellern Richtwerte, welche zur Orientierung bei der Auslegung dienen. In der Regel sollten diese zwischen 1,5 und 4 mm liegen.

Bei zu hoher Wandstärke  kann es zu Lunkerbildung und Einfallstellen kommen, welche einen negativen Einfluss auf die Bauteilqualität haben. Des Weiteren führt eine hohe Wandstärke zur Erhöhung der Zykluszeit im Spritzgussprozess und wird somit zum Preistreiber. Durch Auskernung der betroffenen Bereiche kann dieses Problem vermieden werden. Auch eine zu geringe Wandstärke kann negative Auswirkungen auf das Bauteil haben, denn wird diese in Verbindung mit einem hochviskosen Material gebracht, führt dies zu Problemen bei der Verarbeitung. Bei der Bauteilfüllung wir dies durch nicht ausgespritzte Bereiche ersichtlich.

Nicht nur die Wahl der richtigen Wandstärke ist von großer Bedeutung sondern auch, dass diese einheitlich ist. Durch ungleichmäßige Wandstärken wird die Bauteilqualität hinsichtlich Maßhaltigkeit und Bauteilverzug stark beeinflusst, da der Bauteil unterschiedlich schwindet. Zur Verringerung des Bauteilverzugs sollten Wandstärkenabstufungen vermieden werden, da diese zu unterschiedlicher Bauteilschwindung führen.

Das Thema Wandstärken beinhaltet einen weiteren wichtigen Punkt bei der spritzgussgerechten Konstruktion - die Rippenkonstruktion. Um eine Erhöhung der Bauteilsteifigkeit zu erreichen wird in der Regel das Einbringen von Versteifungsrippen empfohlen. Je nach Belastungsart gibt es verschiedene Varianten von Verrippungen. Je mehr Rippen desto steifer wird ein Bauteil, jedoch bedeutet jede Rippe eine gewisse Materialanhäufung. Durch die richtige Dimensionierung der Rippen und der Kreuzungspunkte kann dies im Vorfeld größtenteils vermieden werden.

Bei optischen Bauteilen kommt es bei falsch dimensionierter Verrippung immer wieder zum sogenannten Durchscheinen der Rippen an der gegenüberliegenden Oberfläche, was als optischer Mangel wahrgenommen wird. Hierbei wird von Einfallstellen gesprochen. Daher sollte immer auf das Verhältnis von Grundwandstärke zu Rippenstärke geachtet werden. Für eine optimale Auslegung sollte das Verhältnis 3:1 betragen. Je nach Anwendung und Belastung kann diese entsprechend angepasst werden. Auch die Auslegung von Schraubdomen und deren Anbindung an Rippen sollte nach denselben Regeln vorgenommen werden.  

Abbildung 4: Anschraubdome bei Spritzgussteilen

Wir empfehlen Ihnen, dass Sie sich im Vorfeld Gedanken darüber machen ob eine Verrippung überhaupt notwendig ist und diese im Zweifelsfall wegzulassen, da das nachträgliche einbringen einen realtiv geringen Aufwand darstellt. Sollte jedoch eine Verrippung zwingend notwendig sein, so empfehlen wir diese geringer zu dimensionieren und die Stärke bei Bedarf in einer Änderungsschleife zu erhöhen, da das Erhöhen der Wandstärke im Spritzgusswerkzeug in der Regel einen geringeren Aufwand bedeutet, als diese zu verringern.

Abbildung 5: Korrekte Anbindung von einen Schraubdom zum Rippenbild

Bei der Konstruktion von Verrippungen stellt sich die Frage der Verrundungen am Rippenfuß. Im Gegensatz zu Metallgussteilen sollten diese beim Spritzguss geringer dimensioniert werden. Grundsätzlich ist ein Radius bei Verrippungen und Ecken von Vorteil, da bei scharfkantigen Übergängen diese Bereiche wie eine Sollbruchstelle wirken und es im Belastungsfall zu einer Rissbildung kommen kann. Jedoch gilt im Allgemeinen für die Dimensionierung der Verrundungen ein maximaler Radius von
„0,5 x a“ wobei „a“ für die Grundwandstärke steht.

Bei Verrundungen empfehlen wir wie auch bei den Verrippungen, diese zu Beginn geringer zu halten und bei Bedarf zu erhöhen, um die Gefahr von Materialanhäufungen zu vermeiden. Materialanhäufungen sind im Spritzguss die häufigste Fehlerquelle und diese sollten so gut es geht vermieden werden. Sollte aufgrund der hohen Bauteilbelastung eine stärker dimensionierte Rippe benötigt werden und diese zu unerwünschten Materialanhäufungen führen, können die Einfallstellen durch ein optisches Designelement kaschiert werden.

Lässt sich Ihr Bauteil entformen?

Das Thema Entformung hat großen Einfluss auf die Bauteilkonstruktion. Je komplizierter die Entformung der Bauteilbereiche, desto höher die Werkzeugkosten. Daher gilt es schon bei der Bauteilkonstruktion die Entformrichtungen und Werkzeugtrennungen zu definieren. Hierbei empfehlen wir den Rat eines erfahrenen Partners im Bereich Werkzeugbau zu suchen.

Bitte vermeiden Sie Hinterschneidungen. Hinterschneidungen an Bauteilen können sehr schnell zu Preistreibern werden. Die Entformung hinterschnittener Bereiche lässt sich auf verschiedene Arten realisieren. Die gängigste Methode ist die Realisija serung mittels Schiebern und Schrägauswerfern. Bei geringeren Hinterschneidungen gibt es noch die Möglichkeit der Zwangsentformung, welche aber abhängig vom Material nur bedingt zu empfehlen ist. Um Kosten zu sparen sollten hinterschnittene Bereiche so konstruiert werden, dass sich diese mit zwei Formhälften entformen lassen.

Durch die Optimierung der Teilekonstruktion im Vorfeld, kann der Einsatz von Schiebern und Schrägauswerfern vermieden werden. Die Verwendung von formschlüssigen Kernen kann die Werkzeugkosten erheblich reduzieren.Im Spritzgussprozess kommt es beim Erstarren der Schmelze zu einem Aufschwinden auf die Werkzeugoberflächen, dadurch haftet das Teil im Werkzeug. Um das Bauteil entformen zu können, werden Entformschrägen benötigt.

Die Wahl der Entformschräge hängt von dem verwendeten Material und der gewählten Oberflächenstruktur ab. Auch die Bauteilgeometrie hat Einfluss auf die Wahl des Entformungswinkels. Je rauer die Oberfläche, desto größer muss die Entformschräge sein. Ist der Winkel zu gering gewählt, kann dies zu Entformungsriefen an der Bauteiloberfläche führen

Abbildung 6: Spritzguss Werkzeug

Die Auswahl an Oberflächen im Bereich Spritzguss ist sehr groß und reicht von hochglanzpolierten Flächen bis hin zu den unterschiedlichsten optischen Strukturen. Durch die Wahl der richtigen Oberfläche, kann die Optik und Haptik des Bauteils positiv beeinflusst werden. In Bereichen mit Masseanhäufungen können durch die richtige Oberflächenstruktur, bis zu einem gewissen Grat, die Einfallstellen kaschiert werden.

Toleranzanforderungen:

Denken Sie wirtschaftlichSelbst bei optimal gestalteten Bauteilen kann bei der Zeichnungserstellung der Bauteilpreis maßgeblich beeinflusst werden. Vielen Konstrukteuren ist nicht bewusst wie sehr sich die Tolerierung eines im Spritzgussverfahren hergestellten Kunststoffbauteils von der eines im spanenden Verfahren hergestellten Teils unterscheidet.

Die wichtigsten Einflussfaktoren auf die Maßhaltigkeit im Spritzguss sind:

  • Fertigungstoleranzen bei der Verarbeitung und Werkzeugherstellung
  • Toleranzen des gewählten Materials
  • Einflüsse durch Feuchtigkeitsaufnahme und Temperaturschwankungen
  • Bauteilschwindung und Verzug

Durch eine falsche Tolerierung werden die Vorteile der Spritzgusstechnologie wie kurze Zykluszeiten, niedrige Ausschussraten und geringer Teilepreis verringert.

Wir empfehlen Ihnen, die Toleranzen nicht so eng wie möglich, sondern so groß wie erforderlich zu definieren.

Prototypen: Eine sinnvolle Investition

Bei komplexen Bauteilen und Baugruppen empfehlen wir vor der kostenintensiven Werkzeugfertigung die Herstellung von Prototypen. Hierbei gibt es mehrere Verfahren für die unterschiedlichen Bauteilanforderungen, welche wir in unserem Whitepaper für Sie zusammengefasst haben (Whitepaper Herstellungsverfahren in der Kunststofftechnik).

Eine andere Möglichkeit zur Reduktion der Risiken bietet die Simulation von Spritzgussteilen. Hier können wesentliche Punkte wie beispielsweise die Bauteilfüllung und der Bauteilverzug simuliert werden, um die Ergebnisse dieser Simulation dann in die Konstruktion einfließen zu lassen.

Abbildung 7: Produktion eines SLS Prototypen

Fazit

Das Ziel einer spritzgussgerechten Konstruktion liegt darin den Bauteil und das Werkzeug so kostengünstig wie möglich zu halten. Wer sich im Vorfeld Gedanken zur Herstellung macht, kann sich viel Zeit und zusätzliche Kosten ersparen.

In manchen Fällen stellt die spritzgussgerechte Bauteilkonstruktion eine große Herausforderung dar. Hierfür sind Erfahrungswerte erforderlich und gegebenenfalls sollten Ergebnisse aus den Prototypen herangezogen werden. Die optimale Entwicklung eines Kunststoffteiles lässt sich am besten durch das frühzeitige Miteinbeziehen von Experten aus den Bereichen Werkzeugbau und Spritzgussfertigung realisieren.

Als Komplettanbieter im Bereich Kunststofftechnik für Prototypen und Kleinserien kann Sie Hintsteiner in allen Bereichen unterstützen.