Konstruktionsleitfaden für Spritzgussteile

Hier finden Sie alle relevanten Informationen rund um das Thema der wichtigen Konstruktion- & Designfaktoren für Spritzgussteile ► Gleich lesen!
Autor:
Andreas Nestler
Veröffentlicht:
February 29, 2024

Verbessern Sie die Machbarkeit Ihrer Bauteile durch das richtige Design!

Die Konstruktion von Kunststoffbauteilen, welche im Spritzgussverfahren hergestellt werden, beinhaltet einige Fehlerquellen, welche einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg Ihres Projektes haben können. Das Design unterscheidet sich wesentlich von dem für Metallbauteile. Vielen Konstrukteuren ist der Einfluss Ihrer Konstruktion auf die Bauteilqualität nicht bewusst und durch das Einhalten einiger wichtiger Konstruktionsregeln im Vorfeld, kann man sich teure und zeitaufwendige Werkzeugänderungen und Korrekturen ersparen. Doch nicht nur das, eine spritzgussgerechte Artikelkonstruktion erhöht die gewünschte Bauteilqualität und reduziert die Herstellungskosten.

Mit welchen einfachen Tipps Sie Ihren Spritzgussbauteil verbessern und Kosten sparen können, erfahren Sie in diesem Artikel.

Die Wahl der Entformrichtung

Der erste zu beachtende Faktor in der spritzgussgerechten Konstruktion ist die Entformbarkeit des Artikels. Man sollte sich bereits zu Beginn der Konstruktion Gedanken bezüglich der Entformung machen. Mit einer durchdachten Artikelkonstruktion, lassen sich die Werkzeugkosten erheblich reduzieren.

Der Aufbau eines Spitzgusswerkzeuges besteht in der Regel aus zwei Formhälften, welche sich durch die Hauptentformrichtung ergeben. Wer dies zu Beginn der Konstruktion berücksichtigt, ist am richtigen Weg zur optimalen Bauteilgeometrie. Die Hauptentformrichtung definiert, in welche Richtung sich das Werkzeug öffnet. Neben den Hauptentformrichtungen gibt noch die sogenannten Nebenentformrichtungen, diese dienen zur Entformung jener Bereiche, welche nicht in Hauptrichtung entformbar sind und werden in der Regel durch Schieber oder Schrägauswerfer realisiert.

Abbildung 1: Entformrichtung / Nebenentformrichtung

Festlegung der Entformschrägen

Nach Festlegung der Entformrichtungen können die Entformschrägen an den Flächen angebracht werden.

Im Spritzgussprozess kommt es beim Erstarren der Schmelze zu einem Aufschwinden auf die Werkzeugoberflächen, dadurch haftet das Teil im Werkzeug. Die Entformschrägen dienen zur leichteren Entformung des Bauteils und verhindern ein hängenbleiben des Teils in der Form. Die Bauteilgeometrie hat Einfluss auf den Entformwinkel, je höher die Formteilwände desto größer sollte der Winkel sein.

Auch zu beachten ist, dass der Winkel der Entformschräge vom Werkstoff und von der gewählten Oberflächenstruktur abhängig ist. Je rauer die Oberfläche, desto größer muss die Entformschräge gewählt werden. Ist der Winkel zu gering gewählt kann dies zu Entformungsriefen an der Bauteiloberfläche führen. Die Auswahl an Oberflächen im Bereich Spritzguss ist sehr groß und reicht von hochglanzpolierten Flächen bis hin zu den unterschiedlichsten Narbungen und Strukturen.

Die Ausführung der Oberfläche hat Einfluss auf die optische Bauteilqualität. Es besteht zum Beispiel die Möglichkeit, in Bereichen mit Masseanhäufungen, durch die Wahl der richtigen Oberflächenstruktur, Einfallstellen bis zu einem gewissen Grat zu kaschieren. Zur Orientierung haben wir eine Tabelle (siehe Abbildung 2) mit den wichtigsten Richtwerten für die gängigsten Materialien und Strukturen erstellt.

Abbildung 2: Entformusschrägen

Vermeidung von Hinterschneidungen

Sogenannte Hinterscheidungen sind Bereiche welche nicht in Hauptentformrichtung entformt werden können (z.B.: Schnapphaken, Bohrungen, usw.).

Um diese Bereiche entformen zu können benötigt man die bereits erwähnten Nebenentformrichtungen. Die Umsetzung mittels Schieber bzw. Schrägauswerfer ist die kostenintensivste Variante und sollte, wenn möglich, durch eine optimierte Artikelkonstruktion vermieden werden.

Abbildung 3: Hintershneidungen durch Schieber und Schrägauswerfer

Einsatz von formschlüssigen Kernen

Der Einsatz von formschlüssigen Kernen kann die Werkzeugkosten erheblich senken. Hierbei wird, durch eine Öffnung am Bauteil mithilfe eines Formkernes, die Herstellung der Hinterschneidung realisiert und eine Entformung in Hauptentformrichtung ermöglicht. Bei der Konstruktion von Schnapphaken und Rastnasen wird diese Technik sehr oft angewendet. Es gibt unzählige kreative Beispiele und Lösungsansätze, zur Umsetzung dieser Methode und wer diese Möglichkeiten bei der Konstruktion bereits beachtet, kann die Werkzeugkosten erheblich senken.

Abbildung 4: Lösugsvoschläge zu Entfrung durch formschlüssige Kerne

Die Zwangsentformung

Eine weitere Entformungsmethode ist die Zwangsentformung. Diese Methode funktioniert nur bei geringen Hinterschneidungen und ist nur bedingt zu empfehlen. Der Grund dafür ist, dass Zwangsentformungen stark vom Material abhängig sind. Das Design der Hinterschneidung spielt eine wichtige Rolle. Beim Entformen des Kunststoffteils drückt sich die Formteilwand so weit weg, dass das Teil zwar leicht deformiert wird, aber nach der Entformung wieder nahezu in den Ursprungszustand zurückkehrt.

Abbildgung 5: Zwagsentformung n.i.O vs. i.O

Wahl der richtigen Wandstärke

Die Wahl der richtigen Wandstärke ist ein weiterer großer Faktor im Spritzgussprozess. Hier kann es durch eine falsche Dimensionierung zu erheblichen Einflüssen auf die Materialeigenschaften kommen. So gibt es bestimmte Materialien, bei denen eine gewisse Mindestwandstärke nicht unterschritten werden sollte, da dies die gewünschten Materialeigenschaften beeinflussen kann. Die meisten Materialhersteller geben Richtwerte vor, welche zur Orientierung bei der Auslegung dienen.

Bei zu hoher Wandstärke kann es zu Lunkerbildung und Einfallstellen kommen, welche einen negativen Einfluss auf die Bauteilqualität haben. Als Einfallstellen bezeichnet man Vertiefungen an der Formteiloberfläche, die teilweise nur am Glanzunterschied zur Umgebung zu erkennen sind. Sie treten meist im Bereich von Masseanhäufungen auf. Durch die Masseanhäufung entsteht eine lokal erhöhte Volumenschwindung. Diese zieht die Oberflächenschicht nach innen. Wenn die Oberfläche nicht nachgibt, entstehen keine Einfallstellen, sondern Lunker.

Auch führt eine hohe Wandstärke zur Erhöhung der Zykluszeit und somit zu erhöhten Produktionskosten. Durch Auskernung der betroffenen Bereiche kann dieses Problem gelöst werden. Hierbei sollte auf eine gleichmäßige Wandstärke sowie die Entformrichtungen geachtet werden, um ungewollte Hinterschneidungen nicht zu erzeugen. Sollte eine gewisse Bauteilsteifigkeit benötigen werden, können die ausgekernten Bereiche mit Rippen verstärkt werden.

Aber auch eine zu geringe Wandstärke kann zu Problemen führen, denn wird diese zu niedrig ausgeführt, so kann es zu Problemen bei der Verarbeitung führen. Bei der Bauteilfüllung wird dies dann durch nicht ausgespritzte Bereiche ersichtlich. In der Regel sollte die Wandstärke zwischen 1,5mm und 4mm liegen.

Achten Sie auf gleichmäßige Wandstärken:

Nicht nur die Wahl der richtigen Wandstärke ist wichtig, sondern auch, dass diese einheitlich ist. Durch ungleichmäßige Wandstärken wird die Bauteilqualität hinsichtlich Maßhaltigkeit und Bauteilverzug stark beeinflusst, da der Bauteil unterschiedlich schwindet. Wandstärkenabstufungen sollten ebenso vermieden werden, da auch diese zu unterschiedlicher Bauteilschwindung und somit zum Bauteilverzug führen.

Abbildung 6: Optimierte Wanstärke n.i.O vs. i.O

Das Thema Wandstärken beinhaltet einen weiteren wichtigen Punkt bei der spritzgussgerechten Konstruktion, nämlich die Rippenkonstruktion. Um eine Erhöhung der Bauteilsteifigkeit zu erreichen wird in der Regel das Einbringen von Versteifungsrippen empfohlen. Abhängig von der Belastungsart gibt es verschiedene Varianten von Verrippungen. Je mehr Rippen, desto steifer wird ein Bauteil, jedoch bedeutet jede Rippe eine gewisse Materialanhäufung.

Durch die richtige Dimensionierung der Rippen und der Kreuzungspunkte, kann dies im Vorfeld größtenteils vermieden werden. Bei falsch dimensionierter Verrippung kommt es immer wieder zum sogenannten Durchscheinen der Rippen an der gegenüberliegenden Oberfläche. Daher sollte immer auf das Verhältnis von Grundwandstärke zu Rippenstärke geachtet werden. Für eine optimale Dimensionierung sollte das Verhältnis 3:1 betragen.

Bei der Konstruktion von Verrippungen stellt sich auch die Frage der Verrundungen am Rippenfuß. Grundsätzlich ist ein Radius bei Verrippungen und Ecken von Vorteil, da bei scharfkantigen Übergängen diese Bereiche wie eine Sollbruchstelle wirken können. Diese Radien sollten eher kleiner dimensioniert werden, max. 0,5x Rippenwandstärke, da ansonsten wieder eine Materialanhäufung entsteht.

Abbildung 7: Rippendesignvergleich n.i.O vs i.O

Wenn der Bauteil eine Verrippung benötigt, sollte bei der Konstruktion der Rippenmuster darauf geachtet werden, dass die Kreuzungspunkte der Rippen sowie die Anbindung an den Bauteilrand, zu keinen Materialanhäufungen führen. Da die Kreuzverrippung eine Vielzahl von Belastungsfällen abdeckt ist diese zu empfehlen.

Abbildung 8: Optimale Verrippung

Die Auslegung von Schraubdomen und deren Anbindung an Rippen sollte man nach denselben Regeln vornehmen. Hier ist darauf zu achten, dass auf die Herstellervorgaben der verbauten Schraube geachtet wird.

Abbldung 9: Anbindung Schraubdome

Ein weiterer Vorteil der Einbringung von Rippen liegt in der Verbesserung des Bauteilverzugs. Beim Verzug weicht das Formteil von der gewünschten Form ab und zeigt Verwindungen, Verwerfungen, wellige Flächen oder Winkelabweichungen. Die Ursache ist ein unterschiedliches Schwindungsbestreben verschiedener Formteilbereiche. Die Schwindungsdifferenzen entstehen durch unterschiedliche Verdichtung der Formteilbereiche und Orientierungen.

Vermeiden Sie Verzug durch das Versteifen von Bauteilbereichen, sowie durch das Verzichten auf scharfe Ecken.

Bei Bauteilen mit schachtelförmiger Geometrie kann es zum Einklappen der Seitenwände kommen, auch dies kann durch gezielte Verrippung vermieden werden. Wer seine Rippen durchdacht positioniert, kann die Bauteilqualität hinsichtlich Verzug deutlich verbessern.

Abbildung 10: Bauteilverzug n.i.O vs. i. O

Eine erwähnenswerte Unterstützungsmöglichkeit beim Design, bietet die Simulation von Spritzgussteilen. Hier kann man wesentliche Punkte wie zum Beispiel die Bauteilfüllung und Verzug simulieren, damit die Ergebnisse mit in die Konstruktion einfließen können. Simulationen von Spritzgussteilen und Werkzeugen sind jedoch mit hohen Kosten verbunden und werden deswegen nur bei hochkomplexen Bauteilgeometrien angewendet.

Fazit

Die spritzgussgerechte Bauteilkonstruktion hängt von unterschiedlichsten Faktoren ab und muss individuell an Ihr Bauteil angepasst werden. Ziel hierbei ist es, die Werkzeugkosten geringstmöglich zu halten und aufwendige Änderungsschleifen im Idealfall vermeiden zu können. Gleichzeitig wollen Sie eine hohe Bauteilqualität erreichen. Der Kompromiss zwischen Qualität und Kosten wird Sie im Verlauf Ihres Projektes vor große Herausforderungen stellen. Hier können Sie auf die Erfahrungswerte eines Experten im Bereich Konstruktion und Herstellung von Spritzgussteilen zurückgreifen. Durch frühes Einbeziehen eines kompetenten Partners, steht der optimalen Entwicklung und Herstellung Ihres Bauteils nichts mehr im Wege.

Als Komplettanbieter im Bereich Kunststofftechnik für Prototypen und Kleinserien kann Sie das Team der Hintsteiner-Group in allen Bereichen unterstützen.