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Designleitfaden für Bauteile aus Faserverbundwerkstoffen

Designleitfaden für Bauteile aus Faserverbundwerkstoffen
Autor:
Jochen Schmidt
Veröffentlicht:
11. Juni 2024
January 5, 2024

Inhaltsverzeichnis

  1. Definition der Anforderungen an das spätere Bauteil
  2. Auswahl von Material und Halbzeugen
  3. Auswahl des geeigneten Herstellungsverfahrens
  4. Design & Fertigung des Formwerkzeugs
  5. Berücksichtigung von Stellschrauben zur Optimierung
  6. Fazit

Die Fertigung von hochwertigen, leistungsfähigen Faserverbundbauteilen setzt meist mehrstufige Prozesse mit teils teuren Werkzeugen und Vorrichtungen voraus. Dabei gibt es eine Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten von Halbzeugen und Fertigungsprozessen mit individuellen Vor- und Nachteilen, die jeweils direkte Auswirkungen auf die Bauteilkosten haben. Aus diesem Grund zahlt es sich aus, schon zu Beginn des Entwicklungsprozesses grundlegende Gestaltungsrichtlinien zu berücksichtigen und einen Partner mit dem entsprechenden Know-how einzubeziehen.

Die Grundlage für ein leistungsfähiges, kosteneffizient gefertigtes Faserverbundbauteil bildet die genaue Analyse der Anforderungen. Aus ihnen kann abgeleitet werden, welches Material verwendet werden muss, welcher Prozess die gewünschten Eigenschaften liefert und welche Art von Werkzeug notwendig ist. Darüber hinaus zeigt sich bei einer solchen kritischen Analyse auch Einsparpotenzial durch die Identifikation von Kostentreibern, die keiner Anforderung geschuldet sind. Im weiteren Verlauf wird Schritt für Schritt auf die verschiedenen Entscheidungen eingegangen, die beim fertigungsgerechten Entwurf eines Faserverbundbauteiles getroffen werden müssen.

Abbildung 1: Designleitfaden für Bauteile aus Faserverbundwerkstoffen

Definition der Anforderungen an das spätere Bauteil

Mechanische Anforderungen wie gewünschte Steifigkeit, Festigkeit und Bruchdehnung wirken sich direkt auf die Materialauswahl und damit die Kosten aus. Hier sollte genau geprüft werden, ob diese Anforderungen realistisch sind. Im Zweifel können Berechnungen und Vorversuche genutzt werden, um diese klarer zu definieren.

Dies gilt in der Regel auch für die Temperaturbeständigkeit des Faserverbundbauteiles. Muss diese sehr hoch sein oder wird eine Brandbeständigkeit gefordert, so führt das zu einer eingeschränkten Auswahl an Matrixwerkstoffen.

Ein weiterer wichtiger Kostenfaktor ist die Oberflächenqualität von Funktionsflächen. Die Oberflächen sollten nur dort eng toleriert werden wo es wirklich notwendig ist. Befinden sich solche Flächen auf beiden Bauteilseiten, so kann ein mehrteiliges Werkzeug notwendig werden. Auch die nachträgliche Bearbeitung solcher Flächen ist möglich, erfordert aber präzise Aufspannvorrichtungen und Maschinen. Die Anordnung von Funktionsflächen oder Befestigungspunkten innerhalb eines einzelnen Bauteiles rechtwinklig zueinander sollte vermieden werden. Gestaltabweichungen durch den Spring-In-Effekt, Werkzeug-Bauteil-Interaktion und thermischen Verzug führen hier häufig zu Problemen. Eine differenzielle Bauweise mit Möglichkeit zum Toleranzausgleich ist hier wenn möglich vorzuziehen. Dies ist besonders wichtig, wenn mehrere toleranzbehaftete Faserverbundbauteile zu einer Baugruppe mit hohen Anforderungen an die Geometrietreue gefügt werden sollen.

Die werkzeug- und zeitintensive mechanische Nachbearbeitung sollte, über das Brechen der Kanten hinaus, weitestgehend reduziert werden. So können Bauteilkanten und Bohrungen mit einer etwas höheren Toleranz schon im Prozess „near netshape“ gefertigt werden. Zudem können Funktionsteile wie Dicht- oder Verbindungselemente, aber auch Zentrierhilfen über vorgefertigte Einleger direkt im Fertigungsprozess integriert werden.

Abbildung 2: CFK-Rohr mit direkt integrierten Verbindungselementen

Auswahl von Material und Halbzeugen

Die Auswahl des Matrixwerkstoffes hängt in der Regel von Anforderungen hinsichtlich der Temperaturbeständigkeit unter widrigen Umgebungsbedingungen und von Brandschutzbestimmungen ab. Epoxidharze, die eine hohe Temperaturbeständigkeit aufweisen, müssen in der Regel auch bei höheren Temperaturen ausgehärtet werden. Übersteigen die Anforderungen die Leistungsfähigkeit von Epoxidharzen, so können Cyanatester- oder Phenolharze zum Einsatz kommen. Besonders bei letzteren sind die Vorschriften hinsichtlich des sicheren Umgangs mit dem Material gewissenhaft einzuhalten. Auch die angestrebte Taktzeit des Fertigungsprozesses kann die Matrixauswahl stark einschränken. Häufig werden hier Harzsysteme gefordert die niedrigviskos sind, schnell in das Werkzeug eingebracht werden können und dort innerhalb weniger Minuten aushärten.

Stehen bei den Anforderungen Festigkeit, Steifigkeit und ein niedriges Gewicht im Fokus, so sollte man Kohlenstoffasern als Verstärkungsmaterial wählen. Glasfasern zeichnen sich dagegen durch die höhere Bruchdehnung, ihre elektrisch isolierenden Eigenschaften und einen relativ niedrigen Preis aus. Steht die Widerstandsfähigkeit gegenüber Impacts im Vordergrund, so sind Aramid- oder Zylonfasern vorzuziehen.

Abbildung 3: Faserverbundwerkstoffe (Bild: R&G)

Bei der Wahl des Halbzeuges spielen sowohl der angestrebte Fertigungsprozess als auch die Verfügbarkeit eine Rolle. Trockenes Fasermaterial kann als Gelege mit relativ hohen Flächengewichten bezogen werden, dies ermöglicht die kostengünstige Ablage großer Fasermengen in einem kurzen Zeitraum. Ein solches Material eignet sich besonders für die Verarbeitung in RTM- und Infusionsprozessen. Filigrane Zuschnitte aus diesem Material sind allerdings eher schwierig zu handhaben. Die Handhabung von vorimprägniertem Fasermaterial (Prepregs) gestaltet sich deutlich einfacher. Hier ist allerdings der Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Faser-Matrix-Kombination auf das beschränkt, was die Materialhersteller liefern oder speziell anfertigen können. Darüber hinaus muss vorimprägniertes Fasermaterial in der Regel tiefgekühlt gelagert werden.

Die prozessinduzierten Geometrieabweichungen von Faserverbundbauteilen sind zu einem großen Teil auf die unterschiedlichen Wärmeausdehnungseigenschaften der Verstärkungsfasern und des Matrixwerkstoffes zurückzuführen. Dies gilt es bei der Zusammenstellung der Materialkombination zu berücksichtigen. So ziehen sich zum Beispiel Kohlenstofffasern bei gängigen Aushärtetemperaturen zusammen, Glasfasern dagegen dehnen sich aus.

Auswahl des geeigneten Herstellungs-Verfahrens

Stehen hohe Stückzahlen und niedrige Taktzeiten bei der Entwicklung im Vordergrund, so eigenen sich RTM-Prozesse oder Out-of-Autoclave-Prozesse in temperierten Werkzeugen, um diese Ziele zu erreichen. Für Prototypen und mittlere bis hohe Stückzahlen bei moderaten Taktzeiten ist der Autoklavprozess mit vorimprägniertem Fasermaterial geeignet. Stellt die Geometrietreue des Faserverbundbauteiles eine wichtige Anforderung dar, so ist es sinnvoll einen zweistufigen Aushärteprozess mit nachträglichem Temperschritt zu wählen.

Die Auswahl des Fertigungsprozesses beeinflusst auch direkt das Design und die Werkstoffauswahl für das Werkzeug. RTM-Werkzeuge sind auf Grund der notwendigen Standzeit in der Regel aus Metall und durch integrierte Anschlüsse, Angusslinien, Schieber und Zentrierstücke relativ aufwendig in der Herstellung. Werkzeuge für einen klassischen Autoklavprozess können geometrisch einfacher und mit Blick auf das Material günstiger gestaltet werden. Der angestrebte Fertigungsprozess sollte früh in der Entwicklung definiert werden, da die Teilung des Werkzeuges und die Entformungsstrategie direkt von der Bauteilgeometrie abhängen.

Abbildung 4: Vergleich der Verfahren zur Herstellung von Komponenten aus FVK

Beim Entwurf des Prozesses sollte darauf geachtet werden, dass sowohl der Materialüberschuss an den Bauteilrändern als auch der Verbrauch an Hilfsmaterialien wie Folien, Dichtstoffen oder Fließhilfen aus Umwelt- und Ressourcenschutzgründen so gering wie möglich gehalten wird.

Design & Fertigung des Formwerkzeugs

Besitzt ein Bauteil nur auf einer Seite Funktionsflächen, so ist in der Regel ein günstigeres, einseitiges Werkzeug ausreichend. Die werkzeugabgewandte Seite kann durch ein aufgelegtes Caulplate zusätzlich geglättet werden. Dieses verbessert allerdings nur die Oberflächenqualität der Fläche und nicht deren Maßhaltigkeit. Geben die Anforderungen vor, dass Wandstärken exakt eingehalten werden müssen oder dass sich Funktionsflächen auf gegenüberliegenden Bauteilseiten befinden, so muss in der Regel mit einem zweiseitigen Werkzeug gearbeitet werden. Der in diesem Fall höhere Aufwand in Bezug auf die Werkzeugfertigung, der nicht zuletzt auch aus der Notwendigkeit resultiert, alle Werkzeugteile exakt und reproduzierbar zueinander positionieren zu können, wirkt sich natürlich auch auf die Bauteilkosten aus.

Darüber hinaus ist es sinnvoll, schon zu Beginn des Werkzeugdesigns die Evakuierung des Faserverbundaufbaus durch geeignete Anschlüsse und Drainagelinien vorzusehen. Die Standzeit des Werkzeuges kann deutlich erhöht werden, wenn Entformungshilfen vorgesehen werden und die Geometrie eine einfache Reinigung erlaubt.

Die einfachste Art ein Werkzeug herzustellen, ist das Zerspanen von Vollmaterial. Aluminium, Stahl und Nickellegierungen eignen sich für Werkzeuge für hohe Stückzahlen. Das Polieren der Werkzeugflächen ermöglicht qualitativ hochwertige Bauteiloberflächen. Das Zerspanungs- und Wärmedehnungsverhalten dieser Werkstoffe ist beherrschbar, die relativ hohe spezifische Wärmekapazität muss aber beim Aushärteprozess berücksichtigt werden. Gerade bei sehr großen Metallwerkzeugen kann eine signifikante Verformung durch das Eigengewicht auftreten. Dem muss mit Stützstrukturen entgegengewirkt werden. Dies wirkt sich natürlich auch auf das Handling der Werkzeuge aus.

Abbildung 5: Hochglanzoberfläche eines FVK-Bauteils durch ein poliertes Formwerkzeug

Kunststoff-Blockmaterial lässt sich sehr einfach zerspanen, die resultierende Oberfläche eignet sich aber ohne weitere Behandlungsschritte wie Füllern und Versiegeln nicht für qualitativ hochwertige Bauteiloberflächen. Darüber hinaus neigt Blockmaterial auf Grund seiner eingeschränkten Temperaturbeständigkeit zum Verzug bei Aushärteprozessen unter erhöhter Temperatur. Ein entscheidender Vorteil ist hier allerdings, dass auch sehr große Abmessungen durch das Verkleben kleinerer Blöcke dargestellt werden können. Das Handling großer Werkzeuge aus Blockmaterial gestaltet sich allerdings ähnlich schwierig wie das Handling schwerer Metallwerkzeuge.

Ein guter Kompromiss ist das Abnehmen von Werkzeugen aus Faserverbundwerkstoffen von gefrästen Urmodellen aus Blockmaterial. Verwendet man hier für den Formbau optimiertes Halbzeug, so kann die Werkzeugaushärtung schon bei ca. 60 °C erfolgen. Die Standzeit von Faserverbundwerkzeugen ist meist kürzer als die von Metallwerkzeugen, dafür gestaltet sich das Handling in der Regel deutlich einfacher. Die Abstimmung von Form- und Bauteilwerkstoff ermöglicht es darüber hinaus, Wärmedehnungs- und Verformungseffekte aus der Werkzeug- Bauteilinteraktion weitestgehend zu eliminieren.

Abbildung 6: Fertigung von großflächigen Bauteilen mit Werkzeugen aus Faserverbundwerkstoffen

Neben diesen etablierten Verfahren ist es auch möglich, Werkzeuge direkt mittels additiver Fertigungsverfahren (3D-Druck) herzustellen. Dies ist insbesondere dann interessant, wenn die Umsetzbarkeit eines Bauteildesigns schnell anhand eines Prototypen nachgewiesen werden soll. Darüber hinaus eignen sich diese Verfahren sehr gut zur Herstellung von Formkernen von komplexen Strukturen. Diese können dabei sowohl im Bauteil verbleiben als auch nach dem Aushärteprozess ausgelöst werden.

Berücksichtigung von Stellschrauben zur Optimierung

Je aufwendiger die Konstruktion und Herstellung eines Formwerkzeuges für ein Faserverbundbauteil sind und je komplexer der geplante Fertigungsprozess, desto mehr macht es Sinn, am Werkzeug und im Prozess Möglichkeiten vorzusehen, das Ergebnis schnell beeinflussen zu können. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass im Werkzeug eine höhere Zahl an Kavitäten oder Angusskanälen vorgesehen werden kann, als voraussichtlich benötigt wird. Entspricht der Fließverlauf später nicht der Prognose, so können diese zusätzlichen Hilfsmittel schnell aktiviert werden ohne das Werkzeug erneut aufspannen und nachfräsen zu müssen. Ein ähnliches Vorgehen ist auch bei Werkzeugen zur Prepregfertigung im Autoklavprozess sinnvoll. Hier sollte man im Vorfeld kritische Bereiche des Bauteils identifizieren und verschiedene, aufeinander aufbauende Evakuierungs- und Kompaktierungsstrategien entwickeln. Auch die Druck- und Temperaturführung kann als Möglichkeit herangezogen werden, das Fließverhalten des Matrixwerkstoffes und damit die Qualität und die Eigenschaften eines Bauteils in der Prototypenphase noch positiv zu beeinflussen. Es setzt natürlich eine gewisse Erfahrung und Fachwissen voraus, solche kritischen Stellen früh zu identifizieren und geeignete Vorkehrungen und Strategien daraus ableiten zu können. Wir helfen Ihnen gerne dabei!

Fazit

Entwicklungs- und Konstruktionsprozesse von Faserverbundbauteilen und-baugruppen können schneller, effizienter und risikoärmer ablaufen, wenn spezifisches Know-how schon zu Beginn einfließt. Weitreichende Auswirkungen von Designentscheidungen können so früh erkannt und bewertet werden. Dies beginnt beim Assessment der Anforderungen und setzt sich bei der Material- und Prozessauswahl und beim Werkzeugdesign fort. Ein erfahrener Projektpartner ist in der Lage diese Auswirkungen früh einzuschätzen und zu quantifizieren. Darüber hinaus kann er Alternativen aufzeigen, die sowohl einer Risikominimierung als auch einer schnelleren Abwicklung dienlich sind.